Nach ein paar Tagen habe ich mich aber wieder beruhigt.
Denn erstens hat Kinu sich schon unglaublich entwickelt seit Ende April, ist so gelehrig und auch lernwillig. Er kommt wahrscheinlich vom Land, in irgendeinem Stall geboren und nie aus dem Kaff raus gekommen, denn er reagiert so gestresst in urbanem Umfeld. Also müssen wir einfach weiter üben, mit der Hundeschule in Erkner einmal in der Woche und langsam und behutsam auch mal allein. Dabei aber nicht hektisch durch den Ort rennen, sondern den Hund länger gucken lassen, einfach müßig herumstehen, dann klappt's auch mit den Artgenossen.
Ich habe von dem armen Kerl erwartet, dass er das alles kann und kennt, das ist aber nicht so. Und wenn man mal überlegt, was der schon alles mitmachen musste: Auf den Darss, kaum dass er da war, Rügen, Hannover, Jever, Langeoog. Ich habe mal durchgezählt: Wir waren in den acht Monaten sieben Mal verreist, dazu Besuche bei Freunden in Berlin, teils mit Übernachtung am fremden Ort und abgegeben auf dem Pferdehof - Wahnsinn! Dazu die alltäglichen Reisen durchs Land und ins Büro, uff.
Er ist so still und mutig, dass es dazu verführt zu denken, er habe ein dickes Fell. Tatsächlich ist er aber auch ein Sensibelchen, das es schnell am Magen hat, ganz fein auf Körpersprache reagiert und es gar nicht haben kann, wenn der Haussegen schief hängt. Das habe ich aber erst nach Langeoog begriffen.
Zweitens habe ich meine Einstellung komplett geändert, was Freiheit bedeutet, zumindest zur Zeit. Ich dachte immer, der Hund muss doch Hund sein, schnüffeln und markieren und möglichst bald frei laufen. Darum die Idee mit Italien. Aber das tut ihm nicht gut: Er ist im Wald aufgedreht, schnüffelt hier, rennt dorthin, markiert überall. Nach seinen Alleingängen kam er derangiert und muksch zurück, humpelnd und geradezu verstört das letzte Mal.
Auf sich gestellt im Wald ist der große Jäger konfus und kopflos, der hat dabei keinen Spaß. Wenn wir dagegen Dummytraining machen oder Sitz und bleib, hockt er da wie angetackert, ganz konzentriert, kann seine Impulse meist kontrollieren, ist eifrig bei der Sache und ist stolz wie Bolle, wenn er alle Dummys eingesammelt hat.
Während der Feiertage hatte ich Zeit, ganz bewusst und penibel auf die Leinenführigkeit zu bestehen. Ich musste nirgendwo eilig hin, mit Kinu im Schlepptau, keine Termine. Also habe ich schon an der Wohnungstür angefangen akribisch zu korrigieren, ein Zentimeter vor, zwei zurück. Sehr inspirierend war dabei auch die DVD von Anita Balsers Hundeteamschule „Die große Freiheit“.
Seitdem ich so in aller RUHE vorgehe ist das Folgen schon viel besser geworden.
Und wenn Kinu neben mir läuft und den Kommandostab an mich abgegeben hat, ist er entspannter. Hundebegegnungen führen nicht zum Komplettausflipp. Sobald ich ihm aber an der Schlepp mehr Raum gebe, so 2-3 Meter, geht die wilde Schnüffelei wieder los und es bricht Leinenchaos aus.
So, was sagt uns das? Die Leine wird jetzt erst mal konsequent kurz genommen, also so 1,5 Meter, die hängt durch, bis er vernünftig läuft. Zum Rennen und Toben ist auf dem Grundstück Platz, da er mittlerweile Hühner, Kaninchen und Katzen zuverlässig in Ruhe lässt (eine tolle Leistung, wie ich finde, angesichts seines Jagdtriebes!
).
Zwei bis drei Mal in der Woche fahren wir Rad an der Leine (macht er nach anfänglichem Ziehen sehr gut), machen Reizangeltraining oder gehen in ein umzäuntes Auslaufgebiet. Und ansonsten Ruhe, Ruhe, Ruhe. Dann wird das schon.
Außerdem könnte ich ihn gar nicht nach Italien fahren lassen: Meine Neffen würden mir das nie verzeihen….
Der Kleine hat dank Kinus Freundlichkeit seine Angst vor großen Hunden überwunden. Allein dafür kann man der Fellnase doch alles andere nachsehen.
Und ganz ehrlich: Den Superbravhund von meiner Freundin? Nee, tauschen würde ich nicht wollen.
